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Noch während Arthur Hirsch, Julius Hirschund Max Hirschnach ihrer Verhaftung am 10. November 1938 in Dachau festgehalten wurden, hatten ihre Ehefrauen bereits Vorkehrungen getroffen, Weinheim zu verlassen. Dazu Max Hirsch:

"Unsere sichere Ahnung, daß die Frauen alle nötigen Schritte für unsere Befreiung und darüber hinaus auch die Vorarbeiten für die alsbaldige Auswanderung energisch betreiben würden, hatte sich als wahr erwiesen. Ihre Energie und der Unterstützung nahestehender Freunde, unter denen ich in erster Linie Jacob Hecht aus Basel nennen muß, ist es zu danken, daß für sämtliche, noch im Lande zurückgebliebenen Angehörigen der Familie Hirsch eine Zufluchtsstätte im Ausland gesichert werden konnte. Unser Schwiegersohn Bill hatte für uns die Aufenthaltsbewilligung für Portugal erreicht, obgleich ich mich anfangs nur schwer an den Gedanken gewöhnen wollte, in dem nach unserer Denkrichtung so abgelegenen fremden Land leben zu sollen. Schon während unserer Abwesenheit hatten die Frauen auch die Verträge für den Transport des Umzuggutes abgeschlossen, so daß dieses im Laufe des Monats Dezember zunächst nach Rotterdam mit dem Endziel Lissabon verfrachtet und damit weiteren Zugriffen der Nazis entzogen werden konnte. Nach einer mehrere Tage in Anspruch nehmenden ärztlichen Behandlung war mein Bein soweit gebessert, daß Julius und ich den Verkauf unserer Privathäuser abwickeln konnten. Beide Anwesen gingen entsprechend dem mit Freudenberg abgeschlossenen Vertrag mit kleinen Abänderungen in den Besitz der Stadt über. Nachdem inzwischen auch die Liquidation der Firma abgeschlossen war, übertrugen Julius Hirsch, ich Max Hirsch und Arthur Hirschunsere Vermögensverwaltung auf die Deutsche Bank in Mannheim, die nicht nur unsere Interessen aufs Beste wahrnahm, sondern uns auch bei der Erlangung der nur schwer erreichbaren steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen und der seit Monaten vorenthaltenen Reisepässe wirksam unterstützte. Arthur Hirsch undFritz Hirsch, welcher aus unbegreiflichen Gründen noch bis Mitte Dezember in Dachau zurückgehalten wurde, wanderten noch vor Jahresschluß in die Schweiz aus, um von da ihre endgültige Einreisebewilligung für die U.S.A. abzuwarten. Meine Frau und ich verließen Weinheim am Neujahrstag 1939 in der Absicht, über Holland zu unseren Kindern nach Lissabon auszuwandern, während Julius für seine schwer erkrankte, nicht reisefähige Frau zunächst erst eine Unterkunft ermöglichen mußte, in der sie wenige Monate später nach einem schweren Leiden ihr Leben beschloß. Erst Ende Januar konnte auch Julius als letzter mit Stefanie in die Schweiz auswandern, um von dort aus seinen wahlweisen Aufenthalt in England oder Frankreich zu bestimmen.

Wie gründlich die Naziherrschaft mit dem Vermögen der Juden aufzuräumen verstand, wurden wir bei unserer Auswanderung gewahr. Nach Abzug der 25% Reichsfluchtsteuer, der zunächst 20% Judenabgabe (der alsbald weitere 5% folgten), und der noch laufenden regulären Steuern wurde unser Vermögen zunächst auf die Hälfte gekürzt. Der verbleibende Rest wurde Sperrmarkguthaben, das zur Zeit unserer Auswanderung von der Golddiskontbank von Fall zu Fall in nicht allzu großen Beträgen nur noch mit 6% in Devisen umgewechselt wurde, so daß sich praktisch mein Vermögen nur noch auf drei Prozent des letztausgewiesenen Vermögensstandes belief. Zudem konnte es noch als glücklicher Zufall bezeichnet werden, daß wir unsere Ausreise nicht 14 Tage später vollzogen haben, da uns sonst die Mitnahme von Schmuck und sonstigen Wertsachen verwehrt worden wäre.

Es war eine schwere Abschiedsstunde, als wir unser Heim verlassen mußten, in dem wir als Kinder die schönsten Jahre einer sonnigen Jugend verbringen durften, in das meine Frau und ich als junges Paar unseren Einzug hielten, in dem unsere vier Kinder geboren wurden, und in dem die Eltern ihr glückliches, harmonisches Leben zu einer besseren Zeit beschließen durften. War man auch hart geworden gegen Entrechtung und Verfemung, so griff es uns doch ans Herz, als wir uns von der uns so teuer gewordenen Stätte für immer trennen mußten."

Veröffentlicht im Weinheimer Geschichtsblatt 38; Die Stadt Weinheim zwischen 1933 und 1945; aus: Lebenserinnerungen de Max Hirsch; Seite 183 ff.

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