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Was ihm blieb, sind Namen auf der Transportliste

Martin Eckstein war elf Jahre, als er deportiert wurde / Die Flucht sicherte ihm das Überleben

"Ich bin mit gemischten Gefühlen hierher gekommen, aber jetzt bin ich froh, dass ich da bin. Denn diese Tage haben mir geholfen, mit meiner Weinheimer Zeit fertig zu werden. Bisher habe ich sie immer wieder verdrängt, jetzt kann ich sie ablegen", sagte Martin Eckstein im Gespräch mit den WN und schämte sich seiner feuchten Augen nicht.

Mehr als die übrigen sieben ehemaligen Weinheimer Juden, die vom 15. bis 20. April 1991 zum zweiten Heimattreffen nach 1979 in ihre Heimatstadt gekommen waren, hatte ihn die Besuchswoche innerlich mitgenommen. Sie hatte ihn aufgewühlt, weil mit dem Wiedersehen des Wohnhauses am Rodensteinerbrunnen, des schmalen Hauses an der unteren Hauptstraße, in dem sein Vater eine Eisenwarenhandlung betrieb, und der Diesterwegschule, in die er zwei Schuljahre lang ging, ehe er sie verlassen musste, alles wieder lebendig geworden war. Noch am Morgen des vorletzten Besuchstages schwankte der damals 61-jährige pensionierte Küchenchef aus Randolph im US-Bundesstaat New Jersey, ob er sich den Schülern des Werner-Heisenberg-Gymnasiums offenbaren sollte. Er tat es auf Drängen seiner amerikanischen Lebensgefährtin Phyllis Feinstein und machte damit den Schulbesuch zum Höhepunkt des 2. Heimattreffens ehemaliger jüdischer Bürger Weinheims. Mit gleichermaßen interessierter wie betroffener Aufmerksamkeit lauschte damals die 10. Klasse dem Lebensbericht Martin Ecksteins, der 1929 geboren wurde. Nach der "Reichskristallnacht" und der Rückkehr von Vater Albert nach kurzer Inhaftierung im KZ Buchenwald wurden die Fluchtgespräche in der Familie immer häufiger. Aber der Eisenwarenhändler hatte kein Geld für eine Auswanderung und deshalb zog die Familie 1939 nach Pforzheim um. Im dortigen jüdischen Gemeindehaus war Albert Eckstein Vorbeter und organisierte einen bescheidenen Unterricht für die aus öffentlichen Schulen ausgeschlossenen Kinder. Auch für die Ecksteins wurde der 22. Oktober 1940 zum Schicksalstag: Albert (49), Felicitas (48), Lore (19) und Martin Eckstein (11) wurden mit weiteren 6500 badischen und pfälzischen Juden nach Gurs deportiert. Vier Monate verbrachten sie im Lager Gurs. Martin beim Vater, Lore bei der Mutter. Dann kam Martin mit 50 jüdischen Kindern in ein Waisenheim nach Aspet im Departement Haute Garonne zu 120 französischen Waisen. Nach der deutschen Besetzung von Rest-Frankreich wurden Martins Eltern und die Schwester nach Auschwitz transportiert und in der Gaskammer umgebracht. Ihre Namen auf der Transportliste sind alles, was Martin Eckstein von seiner Familie geblieben ist, denn die Großmutter starb in einem Durchgangslager in Paris. Die Quäker, die sich um die Kinder in Aspet kümmerten, ermöglichten dem Jungen die Flucht zu Verwandten nach Zürich. Die Frau, die ihm damals zur Freiheit verhalf, hat Martin Eckstein später wiedergefunden und ihr hat er in Jerusalem in der "Allee der Gerechten" einen Baum gepflanzt.

Verfasser: Heinz Keller

veröffentlicht in: „Weinheimer Nachrichten” vom 21.10.2000

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