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Von Hitlerjungen, die einen Juden schützen wollten

Bewegende Begegnung, als dieser Jude 1945 dem Hitlerjungen die Kriegsheimkehr ermöglichte

Am Heimattreffen ehemaliger jüdischer Bürger Weinheims wollten Lothar Marx und seine Stiefschwester Ruth Hirsch weder 1979, noch 1991 teilnehmen. Ausschlaggebend dafür waren wohl dieselben Gründe, die die Töchter von Leopold Schloss veranlassten, die Erinnerung an die Heimatstadt und an die grausamen Ereignisse zu verdrängen, die sich mit ihrem Namen verbinden.

Denn auch die Eltern von Lothar und Ruth wurden 1940 nach Gurs deportiert und 1942 nach Auschwitz verschleppt, wo sich ihre Spur verliert. Das Amtsgericht Weinheim hat den Kaufmann Salomon Marx und seine Ehefrau Theresa, geborene Krämer, zum Tag des Kriegsendes, zum 8. Mai 1945, für tot erklärt. In der NS-Volkskartei steht über das Ende des Ehepaares Marx: "23.10.1940 unbekannt abgeschoben". Salomon Marx, Geburtsjahrgang 1892, stammte aus Rimbach. Sein Vater Moses Marx betrieb in der Brunnengasse ein Geschäft für Manufakturwaren. Moses Marx hatte in der Gemeinde Ortsbürgerrechte und besaß die deutsche Staatsangehörigkeit. 1937 ist er in Rimbach gestorben. Sein Sohn Salomon kam über Birkenau 1924 nach Weinheim, erwarb ein Haus in der unteren Hauptstraße und eröffnete ein Kurzwarengeschäft. 1934 zog er mit seiner Familie in das heute nicht mehr bestehende Haus von Tapeziermeister Hermann Gartner an der Friedrichstraße und verkaufte 1935 sein eigenes Haus an der Hauptstraße an Hermann Engemann.

Theresa Marx, geborene Krämer, stammte aus Höchst im Odenwald und brachte aus ihrer ersten Ehe die Tochter Ruth Heumann (Jahrgang 1915) mit in die Verbindung mit Salomon Marx. Ihm gebar sie 1921 in Birkenau den Sohn Lothar. Ruth Heumann emigrierte 1936 nach Louisville im Bundesstaat Kentucky (USA) und heiratete. Lothar Marx folgte der Stiefschwester im Spätjahr 1938. Der Auswanderung waren die Ereignisse des 10. November 1938 mit der Zerstörung der Synagoge vorausgegangen. Sie hatten die Entscheidung des Siebzehnjährigen sicherlich beschleunigt. Denn der ruhige und zurückhaltende Schlosserlehrling hatte an diesem Schicksalstag der Weinheimer Juden voller Angst am Unterricht bei Diplomingenieur Willy Kurzenhäuser teilgenommen, als ganz in der Nähe der Gewerbeschule (heute Uhlandschule) in den Morgenstunden der Sprengsatz detonierte. Lothar Marx ahnte wohl in dieser Stunde, was die Zerstörung der Synagoge auch für seine Familie bedeutete. Einer der Klassenkameraden, die an diesem Tag mit dem Siebzehnjährigen im Unterricht saßen, war Theo Heckmann.

Vor Jahren hat er über diesen Tag berichtet und über den Klassenkameraden, der nach offiziellem Sprachgebrauch anders war als die anderen. Die anderen, die arischen Gewerbeschüler, bemerkten die Angst in Lothars Gesicht und einige um Theo Heckmann entschieden sich spontan dafür, den Freund in den folgenden Tagen auf dem Heimweg zu begleiten, auch wenn sie sich von strammen SS- und SA-Männern sagen lassen mussten, es sei eine Schande, dass Hitlerjungen einen Juden begleiteten. Die Wege der Schulfreunde trennten sich bald. Lothar Marx floh nach Amerika und rettete damit sein Leben. Theo Heckmann hat als Jagdflieger in der legendären Me 109 am 2. Weltkrieg teilgenommen und wurde schwer verwundet. Nach der Auflösung des Jagdgeschwaders 27 zu Kriegsende kam Heckmann in ein amerikanisches Gefangenenlager auf dem Flugplatz Bad Aibling. In der einstigen Flughalle führten die Amerikaner die Vernehmung der deutschen Kriegsgefangenen durch. "Woher, Schulbildung, Lehrer?" waren die Fragen des vernehmenden US-Offiziers, der dann eine ungewöhnliche Frage anfügte: "Waren Juden in der Klasse?". Als Theo Heckmann bejahte, gab sich der Offizier zu erkennen: "Theo, ich bin der Lothar!". Dieses bewegende Bekenntnis musste unauffällig bleiben, um die Verwirklichung des damit verbundenen Versprechens nicht zu gefährden: "In drei Tagen seid ihr zu Hause", hatte Lothar Marx seinem einstigen Klassenkameraden Theo Heckmann zugeflüstert und dieses Versprechen auf alle in Bad Aibling inhaftierten Weinheimer ausgedehnt. Drei Tage später waren die drei Weinheimer Heckmann, Strasser und Boxheimer tatsächlich zu Hause. Theo Heckmann hat Lothar Marx nie mehr gesehen. Marx ist 1996 gestorben.

Verfasser: Heinz Keller,

veröffentlicht in: „Weinheimer Nachrichten” vom 05.10.2006

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