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Trotz allem liebte sie Weinheim

Nachruf: Im Alter von 86 Jahren ist Margot Seewi gestorben / Wichtigste Zeitzeugin der Judenverfolgung in der Stadt

Sie liebte Weinheim - trotz allem. Und sie kehrte schon 1953 in die Stadt zurück, in der sie eine glückliche Kindheit verbracht hatte. Diese endete am 10. November 1938 abrupt mit einer mächtigen Detonation, als die Nationalsozialisten an der Ehretstraße die Synagoge sprengten, das 1906 geweihte Gotteshaus der Jüdischen Gemeinde. "Nach dem 10. November ist man erwachsen geworden, auch wenn man eigentlich noch ein Kind war", erinnerte sich Margot Seewi 2007 in einem Gespräch mit den "Weinheimer Nachrichten" der Ereignisse, die ihr Leben grausam veränderten.

Vor knapp einer Woche, bei der Gedenkfeier zum 74. Jahrestag der Reichspogromnacht, stellte Erster Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner die bewegende Lebensgeschichte von Margot Seewi in den Mittelpunkt seiner Mahnung, rechtsradikalem Gedankengut mutig zu begegnen, wie es Frau Seewi bei vielen Anlässen getan hat. Zwei Tage nach der Weinheimer Gedenkstunde ist Margot Seewi in ihrer Wahlheimat Köln im Alter von 86 Jahren verstorben.

Bis in ihre letzten Tage pflegte sie den Kontakt mit Weinheim, auch wenn sie die Mühe einer Reise an die Bergstraße nicht mehr auf sich nehmen wollte. Über 50 Jahre hat Margot Seewi nach ihrer Rückkehr aus Israel in Köln gelebt, "obwohl mich Weinheim geprägt hat", wie sie mit gewissem Stolz immer wieder betonte. "Ich muss schon sagen, dass es mich sehr berührt hat, die vertraute Kulisse der beiden Burgen und die ganze Umgebung wieder zu sehen, unverändert wie es schien", erinnerte sie sich an ihren ersten Weinheim-Besuch 1953.

Margot Seewi, geborene Rapp, Enkelin des Kaufhausgründers Isaak Heil (heute Commerzbank), hat nach 1953 viele Gelegenheiten genutzt, Weinheim zu besuchen. An ihrer alten Schule, dem heutigen Werner-Heisenberg-Gymnasium, suchte sie das Gespräch mit den Schülern, um ihnen begreifbar zu machen, was eigentlich niemand begreifen kann. Für Weinheims historische Auseinandersetzung mit den Verbrechen an seinen jüdischen Bürgern war Margot Seewi die wichtigste Zeitzeugin. Mit erstaunlichem Erinnerungsvermögen und mit einer angesichts ihres persönlichen Schicksals bewundernswerten Sachlichkeit vermittelte sie einer weitgehend ahnungslosen Gegenwartsgeneration tiefe Einblicke in das jüdische Gemeinschafts- und das gemeinsame Weinheimer Alltagsleben bis zu dem Schicksalstag 10. November 1938, der nicht nur ihre Familie zerstörte.

Das die einstigen jüdischen Bürger heute ein Gesicht und eine eigene Geschichte haben, ist Magot Seewi zu danken. Ihre leise, unaufdringliche, aber nachhaltig mahnende Stimme ist verhallt, aber sie wird hoffentlich weiter vernommen werden.

Heinz Keller, veröffentlicht in den Weinheimer Nachrichten am 15.11.2012

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