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Stolperstein: Ferdinand und Kathinka Stiefel stammten aus Oberhessen / An den Textilkaufmann erinnert ein Stolperstein

Das gemeinsame Werben aller Kaufhäuser machte Weinheim stark

„Kaufst Du bei Ferdinand jetzt ein, wird Dir Dein Los glückbringend sein”, warb, etwas holprig, das Fachgeschäft für Herren- und Knabenbekleidung an der Amtsgasse in seiner Zeitungsanzeige um Weihnachtskunden. Natürlich beteiligte sich der Textilkaufmann Ferdinand Stiefel, wie alle anderen jüdischen Geschäftsinhaber, alljährlich an den Werbeaktionen des Weinheimer Einzelhandels und auch bei Stiefel gab es für je 5 Mark Bareinkauf ein Freilos zur Weihnachtsverlosung des Weinheimer Einzelhandels. Das gemeinsame Werben aller Kaufhäuser und Einzelhandelsgeschäfte machte die Einkaufsstadt Weinheim stark.

Die Familie Stiefel stammte aus Oberhessen. Ferdinand Stiefels Eltern Nathan und Julia Stiefel, geborene Goldstein, lebten im heutigen Büdinger Stadtteil Rohrbach, in dem einst fast ein Fünftel der Einwohner jüdischen Glaubens waren. Ferdinand Stiefel wurde im März 1878 in Birklar geboren, heute ein Stadtteil der Wetterauer Bierstadt Lich. Nur einen Monat danach, im April 1878, kam seine spätere Frau Kathinka in Rohrbach zur Welt.

Über Ferdinand Stiefels Ausbildung und seinen Berufsweg ist ebenso wenig bekannt wie vom Hochzeitstermin. Die Kinder Herbert (1909) und Elsa (1915) wurden jedenfalls in Weinheim geboren, wo sich Stiefel 1906 anmeldete. Er kam aus Heilbronn und war inzwischen 28 Jahre alt. Bis 1911 wohnte er dann – vermutlich mit Kathinka und dem kleinen Herbert – im Hause [OHauptstraße 33 (heute Hauptstraße 110)], das nach der Aussage des Weinheimer Adressbuchs von 1913 im Besitz von „Albrecht Krafft und Genossen” war.

Nach unterschiedlichen Aussagen lebte hier (oder an der unteren Hauptstraße) zu dieser Zeit der aus Birkenau zugewanderte Metzger Max Oppenheimer, der das Anwesen 1921 kaufte. Ob es eine verwandtschaftliche Verbindung zwischen Kathinka Stiefel, geborene Oppenheimer, und Max Oppenheimer gab, ist unklar.

1911 verließen die Stiefels für fast zwei Jahre Weinheim und lebten im rheinhessischen Eich. 1913 entschieden sie sich endgültig für Weinheim, wohnten in einem der beiden Häuser des Holzfabrikanten Friedrich Friedrich an der Hauptstraße (heute Bertelsmann). 1915 wurde Tochter Elsa Julie geboren. 1927 zog die Familie Stiefel in die Amtsgasse in die Nachbarschaft des Kaufhauses von David Benjamin.

Mit dem 69-jährigen David Benjamin und seiner 70-jährigen Ehefrau Emilie teilten Ferdinand und Kathinka Stiefel, beide inzwischen 62 Jahre alt, am 22. Oktober 1940 das Schicksal der Deportation nach Gurs und wie die Benjamins überlebte Ferdinand Stiefel die unmenschlichen Lagerverhältnisse nicht.

Stiefel ist am 1. März 1941 in Gurs gestorben. Seine Witwe Kathinka durfte 1942 in die USA ausreisen – wahrscheinlich „herausgekauft” von ihrem Sohn Herbert, der seit 1939 in New York lebte. Mit ihm, seiner Geschichte als jüdischer Gehörloser in Deutschland und in den USA, und mit seinen beruflichen Erfolgen als Herrenschneider in New York beschäftigt sich ein weiterer Beitrag.

Seit dem 11. März 2008 erinnert in der Amtsgasse ein Stolperstein an den Textilkaufmann Ferdinand Stiefel.

Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 24.05.2008

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