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Mutiger Ehemann versteckte und rettete jüdische Frau

Elsa Sernatinger überlebte die Schreckensjahre, ihr Vater starb in Gurs, ihre Schwestern wurden in Auschwitz ermordet

Kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert veränderte der Birkenauer Pferdehändler Samuel Oppenheimer seinen Wohnsitz: er übersiedelte nach Weinheim, wo sein Bruder Julius und sein Sohn Louis bereits seit einigen Jahren als Handelsleute lebten. Ob Samuel Oppenheimer in Weinheim noch einmal ein Handelsgeschäft eröffnete, wie es sein Enkel Manfred 1979 anlässlich des ersten Heimattreffens der einstigen Weinheimer Juden erzählte, lässt sich nicht nachweisen, denn bei seiner ersten Erwähnung im Weinheimer Adressbuch wurde Samuel Oppenheimer 1899 als Privatmann bezeichnet, wohnhaft an der Friedrichstraße.Möglicherweise hat sich Samuel Oppenheimer, 1841 in Birkenau geboren, aus gesundheitlichen Gründen aus dem Berufsleben zurückziehen müssen.

Er wurde in einer Familie, in der die Männer meist sogar den 95. Geburtstag noch feiern durften, nur 65 Jahre alt. Samuel Oppenheimer starb 1906. Seine Frau Helene, geborene Löwensberg, war bereits 1903 im Alter von 56 Jahren verstorben. Die Grabsteine von Schmuel und Lea Oppenheimer - so die Inschriften - sind im jüdischen Friedhof in Hemsbach gut erhalten.

An der Kühgaß zu Hause

Die Oppenheimers hatten vier Kinder: die Söhne Louis (Jahrgang 1876), Max (1878) und Arthur (1880) und die Tochter Hedwig(1882).

Louis und Max wurden Weinheimer Bürger. Louis Oppenheimer wurde in den Adressbüchern von 1891 bis 1899 als Handelsmann bezeichnet, 1900 als Viehhändler, von 1904 bis 1926 als Kaufmann und von 1933 bis 1938 als Kohlenhändler. 1895 heiratete er Ricka Wolff aus Griesheim.

Die Töchter Henni, Blanka Elsa und Regina bildeten mit den Eltern die Familie Oppenheimer, die am unteren Ende der Kühgaß, der heutigen Lindenstraße, wohnte. Das Haus wurde 1943 enteignet und "ging in den Besitz des Reiches über", wie der staatlich verordnete Raub umschrieben wurde. Ricka Oppenheimer musste das nicht mehr erleben: sie war 1930 verstorben und auf dem Hemsbacher Friedhof bestattet worden. Ihr jüngstes Kind Walther war nur neun Monate alt geworden.

Liederkranz-Vorsitzender

Louis Oppenheimer wird im Weinheimer Adressbuch von 1899/1900 als Vorsitzender des 1888 gegründeten Gesangvereins Liederkranz genannt, doch muss der Verein nur eine kurze Geschichte gehabt haben, denn 1904 wird der Liederkranz als Neugründung des Jahres 1903 bezeichnet. Auch alte Sänger können sich an einen Liederkranz Weinheim nicht erinnern.

Die Familie Oppenheimer teilte das Schicksal der jüdischen Familien, die sich im "Dritten Reich" nicht zur Auswanderung entscheiden konnten: Louis Oppenheimer stand mit seinen Töchtern Henni und Regina am Morgen des 22. Oktober 1940 im Schlosshof und wurde, wie die 44 übrigen, von der Abschiebeaktion völlig überraschten Weinheimer Juden, ins südfranzösische Lager Gurs deportiert. Der 75-Jährige überstand die unmenschlichen Lagerverhältnisse nicht und starb am 30. November 1940. Für Henni und Regina Oppenheimer wurden die Beschlüsse der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 zur planmäßigen und systematischen Vernichtung des Judentums zum Todesurteil. Nach fast zwei Jahren Lagerhaft in Gurs wurden sie am 10. August 1942 nach Auschwitz verschleppt und wohl unmittelbar nach der Ankunft umgebracht. Henni wäre eine Woche später 46 Jahre, Regina Oppenheimer zehn Tage später 36 Jahre alt geworden. Der Zynismus des Beamten, der am 23. Oktober 1940, einen Tag nach der Deportation, in die Weinheimer Volkskarteikarte schrieb: Aufenthalt "unbekannt, abgeschoben" war teuflisch.

Im Versteck überlebt

In Weinheim zurückgeblieben war 1940 die dritte Oppenheimer-Tochter Blanka Elsa. Sie war mit dem Kaufmann Adolf Sernatinger verheiratet und durfte sich im Schutz ihres christlichen Ehemannes sicher fühlen. Doch schon die Enteignung des Elternhauses machte deutlich, dass die "Endlösung" auch sie nicht verschonen werde. Anfang 1944 verhaftete die Gestapo auch die jüdischen Ehepartner von Christen. Dem wollte Adolf Sernatinger zuvorkommen.

"Er hat seine Frau einfach verschwinden lassen und sie dadurch gerettet", berichtete Gretel Aronstein 1999 aus Beth Jitzchak in Israel in einem Brief an die Weinheimer Nachrichten. Die aus den Weinheimer Familien Kahn und Oppenheimer stammende Cousine von Elsa Sernatinger hatte in einer jüdischen Zeitung aus Amerika eher zufällig gelesen, dass Ernst Braun, 1935 emigrierter Abiturient am Realgymnasium, kurz nach Kriegsende als amerikanischer Captain seine Heimatstadt Weinheim besuchte und dabei Elsa Sernatinger traf.

Sie hatte durch eine lebensrettende List überlebt: Adolf Sernatinger hatte dem Gerücht nicht widersprochen, seine Frau sei ins Ausland geflüchtet. Nach dem Krieg hat Frau Sernatinger erzählt, wie ihr mutiger Mann das Gartenhäuschen auf dem Berggrundstück unterkellerte und zum Versteck umbaute, in dem sie leben und überleben konnte, immer für ein paar Tage mit Lebensmitteln versorgt und mit Wasser aus der Zisterne, aber immer auch von der Angst erfüllt, dass sie das Schicksal des Vaters und der beiden Schwestern erleiden würde, wenn man sie entdeckte. Bis zum Einmarsch der Amerikaner versteckte sich Elsa Sernatinger im Gartengrundstück. Aus ihrer Wohnung an der unteren Hauptstraße brach Elsa Sernatinger regelmäßig zu Besuchen bei ihrer Cousine Gretel Aronstein nach Israel auf. Kurz nach ihrem 80. Geburtstag ist sie 1982 verstorben. Mit Freude hatte sie 1979 das erste Heimattreffen ehemaliger jüdischer Bürger Weinheims miterlebt und dabei auch ihre Vettern Siegfried, Erwin und Manfred Oppenheimer

wiedergesehen, die Söhne von Max Oppenheimer, dem Bruder ihres Vaters Louis. Von ihm wird im nächsten Beitrag die Rede sein.

Heinz Keller, erschienen in den "Weinheimer Nachrichten" vom 04.09.2006

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