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Heils Haus schmückt bis heute die Fußgängerzone

Wichtige städtebauliche Beiträge der Weinheimer Juden

Uta Karin Schmitt hat die aus dem einstigen jüdischen Kaufhaus Ferdinand Neu stammende Porzellanscherbe, die sie – 67 Jahre nach dem Zwangsende des Fachgeschäfts - im Oktober 2005 bei einem Waldspaziergang entdeckte, einem Teller aus dickrandigem, weißem Porzellan zugeordnet. Ob er jemals einen Tisch geziert hat, ließ die Kunsthistorikerin in ihrem Beitrag für das jüngste Museumsheft des Förderkreises offen: „Den Teller, von dem das Fragment stammt, hat Neu wohl aufgrund der geometrisierenden Form der Jugendstilornamente in den ersten Jahren seiner Geschäftstätigkeit fertigen lassen. Die Verwendung des Tellers ist spekulativ. Die Beschriftung ‚Specialität’ könnte als Hinweis auf eine reklameartige Funktion des Tellers gedeutet werden. Möglicherweise warb Neu damit für Restaurantbedarf, was aus dem Wortfragment ‚…aurant” geschlossen werden könnte, den er in seinem Geschäft führte”.

Uta Schmitts Zufallsfund ist ein Dokument der Stadtgeschichte und erinnert an das erste Drittel des 20. Jahrhunderts, in dem sich Weinheim mit dem Schub der Industrialisierung und mit einem leistungsfähigen Einzelhandelsangebot zur Stadt wandelte. Über 20 jüdische Geschäfte entlang der Hauptstraße trugen zur Anziehungskraft Weinheims entscheidend bei und ihre Besitzer ließen mit neuen Geschäfts-häusern jene besondere Atmosphäre im Herzen der Stadt entstehen, die an der Bergstraße und im Odenwald so geschätzt wurde.

Zierde des Stadtbildes

Eines jener stolzen Häuser, die damals entstanden und noch heute ein Schmuckstück im Stadtbild sind, ließ der Textilkaufmann Isaak Heil errichten. Mit seinem Runderker und dem geschweiften Giebel beherrscht das denkmal-geschützte Gebäude bis heute den Eingang zur Fußgängerzone. Geplant wurde es von dem Frankfurter Architekten Max Seckbach (1866-1922), einem der bedeutendsten Synagogen-Erbauer seiner Zeit, der auch die am 10. November 1938 zerstörte Weinheimer Synagoge schuf. Der Baukommission, die Seckbachs Arbeit begleitete, gehörte auch Isaak Heil an.

Die Einweihung des Geschäfts- und Wohnhauses Heil jährt sich im Oktober zum 100. Mal. Den markanten Erker schmückte Heil mit einem Wappenschild, das seine Initialen trug: J und H, und außerdem auf das Jahr der Erbauung verwies: 1906. Der Schild ist heute noch zu sehen, doch die Inschrift fehlt. Heils Enkelin Margot Seewi kann sich an den in Sandstein gehauenen Bauherrenstolz ihres Großvaters noch erinnern und wünscht sich als eine der wenigen Weinheimer Überlebenden des Holocaust einen kleinen Hinweis darauf, wer dieses schöne Haus einst erbaute.

Gastronomische Wurzeln

Isaak Heil (1863-1938) stammte aus Dieburg, seine Frau Recha (1867-1940) war die Tochter von Abraham Neu, der zusammen mit seiner Frau Zerlina, geborene Rapp, im Gebäude des Benderschen Instituts an der Hauptstraße (später Braun, Delert, Losert, heute Family) ein Spezialgeschäft für Kleiderstoffe führte. Margot Seewi, die Urenkelin von Abraham und Zerlina Neu, erinnert sich an Gespräche mit ihrer Großmutter Recha Heil, in denen davon die Rede war, dass ihre Vorfahren von der Lützelsachsener Wirtsfamilie Neu abstammten. In der Tat ist 1803 in den Lützelsachsener Ratsprotokollen von der „Judenwirtschaft des Aron Neu” die Rede. Dabei handelte es sich um jene Gaststätte bei der Einmündung der Sommergasse in die Weinheimer Straße (heute Lebensmittelmarkt Schröder), für die Arons Nachfahre Samuel Neu 1862 das Wirts-hausschild „Zum Stern” beantragte. 1893 wurde der „Stern” an die Familie Bitzel verkauft und 1919 mit der benachbarten „Krone” zum neuen „Stern” zusammengelegt. Seit der Schließung 1958 erinnert nur noch die Stern-Apotheke an eine Gaststätte, die einst zu den bevorzugten Ausflugszielen an der Bergstraße gezählt hatte.

Familiengeschichte Neu

Ob Abraham Neu noch Wirt in der „Judenwirtschaft” war und sich danach als Handelsmann in Weinheim niederließ, ist nicht zu klären. Sicher aber ist, dass Zerlina und Abraham neben der Tochter Recha auch drei Söhne Ferdinand, Moritz und Sally hatten. Recha Neu heiratete Isaak Heil, Ferdinand Neu ehelichte Hedwig Rauner. Beide Familien wohnten in neuem Haus Heils und hatten hier auch ihre Geschäfte.

Moritz Neu (1875-1937) führte in dem stattlichen Gebäude Hauptstraße 96, in dem nach ihm das ebenfalls jüdische Modehaus Bergen und später Kaisers-Kaffeegeschäft und Hussel zu Hause waren (heute Tchibo), ein Warenhaus. Moritz Neu starb 1937 in Mannheim, seine Witwe Rosalie, geborene Meyer, lebte nach dem Tod ihres Mannes an der Müllheimertalstraße und wurde am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Sie überstand die unmenschlichen Lagerbedingungen nicht und starb am 10. Januar 1941, kurz vor ihrem 61. Geburtstag. Während ihrem Sohn Fritz, der sich später Dr. Fred Noy nannte, die Auswanderung nach England gelang, wurde ihr Sohn Artur, ein Opfer des Holocaust. Ob er ebenfalls im Lager Gurs umkam, ist auch nach den umfangreichen Nachforschungen von Christina Modig (Weinheimer Geschichtsblatt) ungewiss.

Sally Neu, der dritte Bruder von Recha Heil, hat nach den Erinnerungen von Margot Seewi mit seiner Frau Sophie in Alzey gelebt und ist rechtzeitig nach Brasilien emigriert. Er ist allerdings nicht verwandt mit dem gleichnamigen Lederkaufmann und Weinheimer SPD-Stadrat Sally Neu (1882-1961).

Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 06.06.2006

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