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Er wurde Amerikaner, blieb aber im Herzen ein Weinheimer

In Atlanta ist Ernst Friedrich Braun, in eine angesehene jüdische Familie Weinheims geboren, im Alter von 87 Jahren verstorben

Aus Atlanta, Hauptstadt des US-Bundesstaates Georgia und 1996 Olympiastadt, kam am Wochenende die Nachricht, dass Ernst Friedrich Braun im Alter von 87 Jahren verstorben ist. Er erlag im "Veterans Affair Hospital" in Decatur einem Herzinfarkt.

Heute hätte er seinen 88. Geburtstag gefeiert. Christiane Box, eine ehemalige Weinheimerin, übermittelte den Nachruf, den "The Atlanta Journal-Constitution" dem Verstorbenen widmete. Ernst Braun hatte in Weinheim viele Freunde. Mit Daniel Horsch, 1964 Verfasser der "Geschichte der jüdischen Gemeinde Weinheim" (Geschichtsblatt Nr. 26), stand er in lebendigem Briefwechsel, ebenso mit Altstadträtin Lilly Pfrang, deren im 2. Weltkrieg vermisster Mann 1933 Brauns Klassenkamerad in der Oberprima des Weinheimer Realgymnasiums war.

Eine hoch geachtete Familie

In allen Briefen klangen heimatliche Erinnerungen an, obwohl Ernst Braun schon im Mai 1935 vor den Nationalsozialisten in die USA geflüchtet war. Denn Ernst Friedrich Braun war, wie sein drei Jahre älterer Bruder Alfred Georg, ein Sohn des jüdischen Textilkaufmannes Adolf Braun und seiner Ehefrau Frida, geborene Rothschild. Die Brauns betrieben an der Hauptstraße ein angesehenes Fachgeschäft für Herrenbekleidung und Sportartikel (heute Sport und Mode Losert). Adolf Braun war Vorsitzender im Ortsverein Weinheim des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten. Er hatte am 1. Weltkrieg teilgenommen und war verwundet worden. Adolf Braun war fest im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben Weinheims verankert, er war Mitglied und - wie man

heute sagen würde - Sponsor der Weinheimer Turn- und Sportvereine, er förderte die Freiwillige Feuerwehr und pflegte auch mit den übrigen Weinheimer Vereinen ein gutes Verhältnis. 1935 sahen Frida und Adolf Braun in Deutschland keine Zukunft mehr, 1936 verkauften sie ihr Geschäft an

Fritz Delert und im März 1937 emigrierten sie in die USA.

So lange hatte ihr Ältester, Alfred Georg, nicht warten wollen: er wählte schon im ersten Jahr nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten den Weg nach Amerika.

Vom Studium ausgeschlossen

Ernst Braun wollte nach dem Abitur am Weinheimer Gymnasium Medizin studieren. Doch Juden war der Zugang zu den deutschen Hochschulen bereits

versperrt. Deshalb begann er bei den Lederwerken Hirsch eine kaufmännische Lehre. 1935 folgte Ernst Braun seinem Bruder Alfred, 1937 kamen die Eltern und die Familie wohnte zunächst in Pennsylvania bei Verwandten und entschied sich dann für Atlanta als Familienzentrum.

Kriegsdienst für die USA

"The Atlanta Journal-Constitution" geht in seinem Nachruf ausführlich auf den Kriegsdienst Ernst Brauns ein, der sich noch vor der Bombardierung Pearl Harbors zum Dienst in der amerikanischen Armee meldete. Dort habe man,

berichtet die Zeitung, seine Zweisprachigkeit schnell erkannt und genutzt. Braun sei zum Offizier ausgebildet worden, habe für den militärischen Geheimdienst gearbeitet und sei zum Übersetzer ausgebildet worden, um deutsche

Kriegsgefangene zu verhören. Von Ernst Brauns Sohn erfuhr das Atlanta-Journal, dass sein Vater 1945 in der Nähe von Innsbruck entmutigte deutsche Soldaten überredet habe, die von ihnen gefangen gehaltenen Widerstandskämpfer freiwillig den amerikanischen Truppen zu überstellen. Für diese Aktion hat Captain Ernst Braun den bronzenen Stern, eine amerikanische Militärauszeichnung, erhalten.

Der erste Weg nach Weinheim

Als am 28. März 1945 die Amerikaner in Weinheim einrückten, war Captain Braun nicht weit. Mit seinem Jeep fuhr er schon in den ersten Tagen der Besetzung Weinheims in die Heimatstadt, besuchte das Elternhaus und das elterliche Geschäft, traf sich mit Elsa Sernatinger-Oppenheimer, die neben Grete Siehl einzige Weinheimer Jüdin, die das Grauen überlebt hatte, und passierte voller Wut und Zorn die Stelle an der Bürgermeister-Ehret-Straße, an der einst die Synagoge der jüdischen Gemeinde gestanden hatte, bis sie am 10. November 1938 von den Nazis in die Luft gejagt wurde. Ernst Braun hat seine Eindrücke beim ersten Besuch Weinheims nach seiner Flucht vor den Nationalsozialisten 1945 niedergeschrieben und später dem Weinheimer Architekten Matthias Kappler überlassen. Karl-Josef Kropp hat daraus das "Porträt einer Rückkehr" gemacht und es der 2. Auflage seines

Erinnerungsbuches angefügt, das unter dem Titel "Als der Storch vom Himmel fiel" auch die Tage des Einmarschs der Amerikaner in Weinheim beschreibt. (Der Blaue Hut Verlag, 1995).

Initiatoren des Heimattreffens

Alfred und Ernst Braun konnten ihre Heimatstadt Weinheim trotz aller

Enttäuschungen nicht vergessen. Über ihren Freund Dr. Klaus Huegel, den Sohn des früheren Weinheimer Oberbürgermeisters Josef Huegel, über Daniel Horsch und Lilly Pfrang suchten sie Kontakt zur Stadtverwaltung und bereiteten mit ihrer

Unterstützung ein Heimattreffen ehemaliger jüdischer Bürger Weinheims vor. Es fand vom 28. Mai bis 6. Juni 1979 statt und löste in Weinheim ein starkes Echo aus, zumal es erstmals die Möglichkeit gab, das Geschehen im sogenannten

3. Reich aus anderer Sicht kennenzulernen.

Ernst Braun sprach in der Sondersitzung des Gemeinderates nach den Ansprachen von Oberbürgermeister Gießelmann, Landrat Neckenauer und der Fraktionsvorsitzenden das Dankeswort der siebzehn ehemaligen jüdischen Bürger: "Zum Abschied von Weinheim sagen wir gerne "Auf Wiedersehen" und Shalom, Frieden für die ganze Welt!".

Ohne die Brauns fand, mit weiteren ehemaligen Weinheimer Juden, im April 1991 ein zweites Heimattreffen statt.

Bürgerschaftlich engagiert

In Atlanta war Ernst Braun nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst Vertreter für Herrenbekleidung. Er sah es als seine Pflicht an, sich für seine Mitmenschen einzusetzen, besuchte regelmäßig einsame Patienten eines Soldaten-Krankenhauses und Altenheime für Kriegsveteranen, half Patienten und Bewohnern bei notwendigen Erledigungen.

Braun war, nach den Worten des Atlanta-Journals, auch ein großzügiger Blutspender: in 50 Jahren habe er 13 Gallonen Blut gespendet, nahezu 50 Liter.

Erinnerungen kamen hoch

Am Jahresende 2001 bedankte sich Ernst Braun, in dessen Speisezimmer ein Weinheim-Bild von Schloss und Burgen hängt, bei Oberbürgermeister Kleefoot für die Übersendung des neuen Weinheimer Geschichtsblatts, das sich mit der Zeit zwischen 1933 und 1945 beschäftigt. Mit Anerkennung sprach Braun von der "langen und sorgfältigen Arbeit" der Autoren, die in ihm schöne und traurige Erinnerungen an seine Heimatstadt geweckt hätten.

Heinz Keller, erschienen in den "Weinheimer Nachrichten" vom 26.08.2008

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