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Eine jüdische Geschichte: Julius und Martha Adler verloren in Großsachsen alles, hofften in Weinheim, wurden nach Gurs verschleppt und durften ausreisen

Les Milles: Makabres Zentrum deutschen Geisteslebens

Nur ein halbes Jahr wohnten Martha und Julius Adler in Weinheim. Am 15. April 1940 waren sie aus der Großsachsener Brunnengasse in die Weinheimer Amtsgasse umgezogen. Am 22. Oktober 1940 wurden sie, wie ihre Vermieter Ferdinand und Kathinka Stiefel, nach Gurs deportiert. Während Ferdinand Stiefel (wir berichteten) am 1. März 1941 den unmenschlichen Lagerverhältnissen erlag, glückte den Adlers im März 1941 die Auswanderung: über Marseille und mit einem Zwischenaufenthalt in Trinidad erreichten sie die USA. In Nashville, der Hauptstadt von Tenesee, startete Julius Adler einen Neubeginn als Fabrikarbeiter und lebte, nach den Akten des Landesamtes für Wiedergutmachung, ab 1944 „auf ausreichender Wirtschaftsgrundlage”. Julius Adler starb am 2. April 1958, kurz vor seinem 72. Geburtstag in Nashville, seine aus Seeheim stammende Frau Martha, geborene Regenstein, am 22. Oktober 1961, dem 21. Jahrestag der Deportation nach Gurs, im Alter von fast 70 Jahren.

Julius Adler, Sohn von Jakob und Mina Adler, geborene Dellheim, war Kaufmann in Großsachsen. Im alten Rathaus an der Breitgasse verkaufte er vor allem Schuhe, aber auch Manufakturwaren und zeitweise sogar Möbel – bis zum 10. November 1938. Nach der Reichspogromnacht wurde er, wie alle jüdischen Männer überall in der Region, festgenommen und ins Konzentrationslager Dachau gebracht.

Vier Wochen später kehrte er nach Großsachsen zurück. Dr. Michael Hörnle hat in der Rhein-Neckar-Zeitung (18./19. Januar 2003) über die für das Ehepaar Adler schwierige Zeit berichtet. Auch in Abwesenheit ihres Mannes öffnete Martha Adler das Geschäft wieder am 17. November, doch am 12. November war die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben in Kraft getreten und danach hätte sie eigentlich das Geschäft gar nicht mehr eröffnen dürfen. Wie in Weinheim war jüdischen Geschäftsinhabern verboten, ihre Waren selbst zu verkaufen: sie sollten ihr Warenlager dem Einzelhandelsverband – natürlich zu einem Schleuderpreis - zum Kauf anbieten und ihre Geschäfte dann bis zum 31. Januar 1939 abwickeln und auflösen.

Doch Martha Adler empfing weiter Kunden, hauptsächlich aus Schriesheim und Ursenbach, wie Dr. Hörnle herausgefunden hat, und ganz wenige aus Großsachsen, wie Martha Adler am 23. Dezember 1938 vor einem Vernehmungsbeamten erklärte: „Von Großsachsen kamen wenig Einwohner, offenbar, weil sie Angst hatten”. Bei Adlers wurde jedenfalls bis zum 17. Dezember 1938 weiter verkauft, obwohl Julius Adler am 13. Dezember, drei Tage nach seiner Rückkehr aus Dachau, vom Großkreis Mannheim gemahnt worden war, sein Geschäft zu schließen und aufzulösen. Dass er das nicht tat, brachte ihn bis 24. Dezember ins Gefängnis und seinem Geschäft das Ende.

Im April 1940 zogen Martha und Julius Adler, seit 20 Jahren verheiratet, nach Weinheim in die Amtsgasse. Die Deportation zerschlug auch die leise Hoffnung, dass es für einen hoch dekorierten Kriegsteilnehmer beim Verlust des Geschäfts und des Grundbesitzes bleiben könnte. Am 22. Oktober 1940 war klar: Die „Wagner-Bürckel-Aktion” gegen die badischen und pfälzischen Juden trachtete auch den Adlers nach dem Leben. Wie lange der 54-jährige Julius Adler und seine 49-jährige Frau in Gurs bleiben mussten, ist nicht bekannt. Nach dem Erhebungsbogen zur Dokumentation der Judenschicksale 1933-1945 in Baden-Württemberg wurden die Adlers von Gurs irgendwann in das Sammellager Les Milles bei Aix-en-Provence gebracht und von dort aus scheint ihnen am 4. März 1941 die Ausreise geglückt zu sein.

Das Internierungslager in der stillgelegten Ziegelei „Les Milles” war nach dem Beginn des 2. Weltkriegs für deutsche und österreichische Emigranten eingerichtet worden, die vor Hitler oder Stalin geflüchtet waren. Nach Hitlers Einmarsch in Frankreich lebten 3.000 Gefangene unter katastrophalen Bedingungen im Lager, unter ihnen die Schriftsteller Lion Feuchtwanger, Golo Mann, Alfred Kantorowicz und Walter Hasenclever, der sich im Lager das Leben nahm. Feuchtwanger („Der Teufel in Frankreich”) und Kantorowicz („Exil in Frankreich”) haben später das Leben in der Ziegelei beschrieben. Unter den Lagerinsassen befanden sich auch etwa 40 Maler, darunter einige bedeutende Künstler des 20. Jahrhunderts wie Max Ernst, Wols (Wolfgang Otto Alfred Schulze-Battman) und Anton Räderscheidt. 1940/41 entstanden die bis heute zu sehenden, inzwischen weit über Frankreich hinaus bekannten Wandmalereien in Les Milles, das in dieser Zeit zu einem makabren Zentrum deutschen Geisteslebens geworden war.

Nach der Wannseekonferenz (20. Januar 1942 zur „Endlösung der Judenfrage” wurden von Les Milles aus Juden in die Vernichtungslager deportiert.

Wie Martha und Julius Adler im März 1941 die Ausreise schafften, ist unbekannt.

Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 12.08.2008

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