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Die Verfassung der Israelitischen Religionsgemeinschaft Badens von Moritz Pfälzer vom 14. Mai 1923

Die Stadt Weinheim beherbergte die Ausstellung „Gleiche Rechte für alle? 200 Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden” vom 3. November 2009 bis 10. Januar 2010 im Stadtmuseum.

In diesem Rahmen möchten wir auf eine bisher kaum genutzte Quelle aufmerksam machen, das Verordnungsblatt des Oberrats der Israeliten Badens, das von 1884 bis März 1937 herauskam (Nachweis: Jahrgänge 1884 bis 1914 in der Landesbibliothek, der Universitätsbibliothek und der Dienstbibliothek des Generallandesarchiv in Karlsruhe, Jahrgänge von 1907 bis 1937 in der Universitätsbibliothek Heidelberg). Es enthält einen „offiziellen” Teil mit den Verlautbarungen des jüdischen Landesverbandes. So lassen sich Biographien von jüdischen Religionslehrern rekonstruieren. In einem „nichtamtlichen” Teil wurde vom Leben der jüdischen Religionsgemeinschaft berichtet. So etwa 1914 in Heft Nr. 7 auf S. 87 von der „Aufführung liturgischer Stücke in der Synagoge Weinheim” am 5.7.1914. Nach 1922 konkurrenzierte das „Israelitische Gemeindeblatt Mannheim/Ludwigshafen” bis November 1938 immer mehr diesen „nichtamtlichen” Teil.

Die für die badischen Juden wichtigste Persönlichkeit aus Weinheim war Rechtsanwalt Moritz Pfälzer (Hemsbach 1869-1936 Frankfurt, beerdigt in Hemsbach, nach 1903 an der Ehrestrasse 14 wohnhaft), der Vizepräsident der Israelitischen Synode war und auch die Verfassung der Religionsgemeinschaft entwarf. Deshalb gab man Pfälzer nach Hugo Preuss (1860-1925), dem Berliner jüdischen Rechtsanwalt, der die Weimarer Verfassung entworfen hatte, den Namen der „badische Preuss”.

Die badischen Juden gaben sich zur Weimarer Zeit eine neue demokratische Verfassung. Neu wurde der Oberrat durch die Synode gewählt und nicht von der badischen Regierung bestimmt. Der Vorsitz durch einen christlichen Kommissar entfiel und die Frauen erhielten gemäß der Weimarer republikanischen Verfassung das Stimmrecht. In den lokalen jüdischen Gemeinden setzte es sich allerdings nicht überall durch.

Aus diesem Werk des Weinheimers Moritz Pfälzer möchten wir nun ein paar Bestimmungen zitieren (s. Verordnungsblatt Nr. 2, 15. Mai 1923, aus Sn. 23-30):

Verfassung der Israelitischen Religionsgemeinschaft Badens (vom 14. Mai 1923):

Die Israelitische Religionsgemeinschaft (Landessynagoge), durch landesherrliches Edikt über die Verhältnisse der Juden vom Januar 1809 als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt, beschließt durch Synode und Oberrat folgende

Verfassung:

I. Von der Religionsgemeinschaft und ihren Mitgliedern.

§ 1.

Die Israelitische Religionsgemeinschaft ist die Gesamtheit der Juden Badens.

Sie fusst auf dem historischen Judentum und dessen überlieferten Religionsgesetz. Sie fasst die religiösen, geistigen und sittlichen Kräfte ihrer Angehörigen zusammen; sie fördert den Gemeinsinn und die werktätige Nächstenliebe; sie sucht das religiöse Leben und die Kenntnis der Lehre des Judentums zu pflegen und zu vertiefen; sie sorgt für die religiöse Erziehung der Jugend und stärkt ihre Treue zum Judentum.

§ 2.

Angehöriger der Religionsgemeinschaft ist jeder Juden ohne Unterschied des Geschlechts, der im Gebiet des Freistaats Baden seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt hat, wenn er nicht ausdrücklich seinen Austritt erklärt hat.

§ 3.

Jeder Angehörige hat Anspruch auf Teilnahme an dem religiösen Leben und an allen Einrichtungen der Religionsgemeinschaft und der Religionsgemeinde, deren Mitglied er ist, nach Massgabe der staatlichen und religiösen Vorschriften und des Herkommens.

Alle von der Religionsgemeinschaft unterhaltenen Einrichtungen sind auf der Grundlage des überlieferten Judentums zu führen. (...)

Von der Synode

§ 13.

Die Synode besteht aus 29 Angeordneten der Wahlbezirke, 3 Abgeordneten der Rabbiner und 2 Abgeordneten der Religionslehrer und Kantoren. (...)

§ 15.

(...)

Stimmberechtigt ist jeder am Tag der Auflegung der Wählerliste volljährige Jude ohne Unterschied es Geschlechts, welcher der Religionsgemeinschaft seit mindestens einem Jahr, oder, wenn er Reichsausländer ist, seit mindestens drei Jahre angehört.

§ 48.

Der Oberrat besteht aus 8 Mitgliedern, die von der Synode auf die Dauer von 6 Jahren mit Stimmenmehrheit gewählt werden; hierbei sollen die in der Synode vertretenen Richtungen nach dem Verhältnis ihrer Stärke berücksichtigt werden. (...)

Zum Mitglied des Oberrats kann jeder Angehörige der Religionsgemeinschaft gewählt werden, der zur Synode wahlberechtigt und mindestens 30 Jahre alt ist und nicht als Konferenzrabbiner gewählt werden kann. (...)

Kommentar:

Die Formulierung vom „Fussen auf dem historischen Judentum” ließ alle drei modernen religiösen Strömungen im Judentum als gleichberechtigt zu. Die Religionsgemeinschaft sah die Orthodoxie nicht als alleinige Richtschnur an. Sie sah sich als repräsentative Gruppe an, die orthodoxe Austrittsgemeinde zählte sie nicht zur Religionsgemeinschaft. Ausländer mussten drei Jahre warten, bis sie ihr Stimmrecht erhielten. Der Oberrat wurde neu demokratisch durch die Synodalen gewählt. Weinheim gehörte mit den jüdischen Gemeinden des Rabbinatsbezirks Heidelberg zum Wahlbezirk XIII. Die Stadtgemeinde Heidelberg hatte einen eigenen Bezirk. Die Synode konnten den Oberrat sogar mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmen, wenn diesem ein Gesetz nicht zusagte. Es wäre nun interessant zu vergleichen, inwiefern die evangelische Landeskirche in Baden auch eine ähnliche Demokratisierung durchmachte.

Text von Herrn Uri R. Kaufmann, Dossenheim b. Heidelberg

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