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Der Mann, der Schiwe saß

Marx Maier, seine Tochter Ada und ihr geliebter "Goi"

Große Männer gingen bei Marx Maier ein und aus: die Dirigenten Wilhelm Furtwängler, Erich Kleiber, Clemens Krauß und Siegfried Wagner, der junge Komponist Paul Hindemith und die Pianisten Eugen d’Albert, Alexander Borovsky und Rudolf Serkin. Marx Maiers Tochter Frieda Diana, genannt Ada, bewegte sich im Umfeld von Pablo Picasso, Georges Braque, Joan Miro, Walter Benjamin, Paul Eluard, Max Ernst, Louise Leiris, André Malraux, Peggy Guggenheim, Martin Buber und Federico Garcia Lorca.

Zwei faszinierende Weinheimer, die leider in Vergessenheit geraten oder gar unbekannt geblieben sind. Marx Maier, Jahrgang 1875, war 1898 zum Kantor und Religionslehrer der kleinen jüdischen Gemeinde Weinheim berufen worden, hatte 1904 den Synagogenchor gegründet, der zwischen 1909 und 1914 als Musterchor der Badischen Landessynagoge galt, und ab 1918, nach der Heimkehr aus dem 1. Weltkrieg, Weinheim den Kammermusikverein und großartige Konzerte geschenkt.

Frieda Diana, 1902 geborene Älteste seiner fünf Kinder, zog 1917 mit der siebenköpfigen Familie von der Hildastraße ins ehemalige Bender’sche Lehrerhaus an der Institutstraße. Sie wurde eine bekannte Malerin und heiratete 1924 den aus Gießen stammenden Maler und Bühnenbildner Hein Heckroth.

Das war nicht einfach, denn sie war Jüdin und er ein "Goi", ein Nichtjude, ein Christ. Und Marx Maier, der Kantor und Religionslehrer, huldigte streng orthodoxen Glaubensgesetzen. Als ihm in Weinheim zugetragen wurde, dass seine geliebte Tochter mit einem Goi bekannt sei, verlangte er von ihr den Bruch dieser Beziehung, die im heutigen Sinn gar keine war. Ada lehnte ab.

Die Geschichte, wie Ada Maier und Hein Heckroth dennoch zusammen kamen, ist eines der amüsantesten Kapitel in den Memoiren des Schriftstellers Frank Arnau (1894-1976), die 1972 unter dem Titel „Gelebt, geliebt, gehasst” im Desch-Verlag erschienen sind. Die autobiographischen Erinnerungen an „Ein Leben im 20. Jahrhundert” sind eines der letzten unter den rund 100 Büchern, die der nach eigenen Angaben in einem Eisenbahnabteil des Orientexpress auf der Fahrt von Paris nach Konstantinopel geborene, nach 1952 hauptsächlich als Kriminalschriftsteller bekannt gewordene Arnau (Pseudonym für Heinrich Schmitt) mit einer Gesamtauflage von mehr als 3,4 Millionen Exemplaren veröffentlichte.

Die Geschichte um Marx, Ada und Hein ereignete sich im Winter 1923 in Frankfurt. Hein Heckroth, 1901 als Lehrersohn in Gießen geboren und, nach einer Buchdruckerlehre, am Frankfurter Städel-Museum ausgebildet, kannte Arnau und wusste, dass er mit dem Weinheimer Lehrer Marx Maier befreundet war, dem Vater der von ihm verehrten Ada. Heckroth erbat Arnaus Rat, wie man den zutiefst gekränkten Vater versöhnen könnte. Denn Marx Maier hatte sich nach der Weigerung seiner Tochter, die Verbindung zu Heckroth zu lösen, auf einen Schemel gesetzt und „saß nun Schiwe”. Das bedeutete, „dass er zum Zeichen der Trauer über das verloren gegangene Kind seine Kleider zerriss und Asche auf sein Haupt schüttete”.

Bei der damaligen Teuerung, meinte der Erzähler Arnau 50 Jahre später in seiner Geschichte „Hein Heckroth und der Mann, der Schiwe saß”, sei die alttestamentarische Sitte, aus Gründen der Trauer die Kleider zu zerreißen, nur noch symbolisch vollzogen worden: „Vater Maier schnitt sich ganze zwei Zentimeter tief in die Weste. Man konnte den kleinen Einschnitt kunststopfen, aber dem Gesetz war Genüge getan. Wie er es mit der Asche hielt, weiß ich nicht”.

Heckroth wollte also von Arnau wissen, wie man den gekränkten Vater Maier besänftigen könne. Auf Ada verzichten wollte er nicht. Arnau nutzte ein paar Tage später Maiers Aufenthalt in Frankfurt zu einer scheinbar zufälligen Begegnung. Marx Maier hatte gerade mit seinem ersten Kammermusikfest in Weinheim einen glänzenden Erfolg erringen können und steckte nun mitten in den Vorbereitungen für das Kammermusikfest 1924, das er mit Hermann Abendroth plante, einem der herausragenden Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Nach Frankfurt war Maier gekommen, um den russischen Pianisten Alexander Brailowsky zu treffen.

Über seine Begegnung mit Marx Maier schreibt Arnau: „Maier unterhielt sich mit mir in alter, wiewohl väterlicher Freundschaft. Er schenkte mir sogar eine Eintrittskarte zur Premiere der ‚Geschichte des Soldaten’ von Strawinsky. Wir verabredeten für den nächsten Tag seinen Besuch bei mir. Er wollte mir über seine meines Erinnerns mit einem Kardinal oder gar dem Heiligen Vater unternommenen Bergbesteigungen berichten: ‚das ist gut, die Menschen sollen wissen, dass Vertreter verschiedener Religionen gut zusammen leben können’”. Marx Maier war ein begeisterter Bergsteiger.

Arnau bat Heckroth und Ada Maier, zur gleichen Zeit zu ihm zu kommen. Was er plante, verriet er nicht. Er erzählt es uns in einem weiteren Beitrag.

Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 29.12.2007

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