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Als Bürger der Stadt im Bürgerbuch eingetragen

Nathan Altstädter und seine Nachkommen waren Teil der Gesellschaft und wurden dennoch verstoßen

Den Familiennamen Altstädter gibt es in Weinheim seit 200 Jahren, seit der Einführung des neuen Namensrechtes im Großherzogtum Baden und der Verpflichtung der Juden auf feste Familiennamen. Die Familiengeschichte jedoch geht nach Meinung der jüngeren Namensträger bis zum Dreißigjährigen Krieg zurück. Darauf war Hans Altstädter besonders stolz. Zusammen mit seinen Brüdern Walter und Paul nahm er am ersten Heimattreffen ehemaliger jüdischer Mitbürger im Frühsommer 1979 teil. Neun Jahre später überließ uns der in Jerusalem lebende Ingenieur anlässlich des 50. Jahrestags der Zerstörung der Weinheimer Synagoge seine Erinnerungen an die Heimatstadt.

Mit Landesprodukten gehandelt

Großvater der drei Altstädter-Brüder, die 1934 ihren Arbeitsplatz verloren hatten und nach Palästina ausgewandert waren, war Marx Altstädter (1828-1903), Kaufmann, Synagogenrat und erstes jüdisches Mitglied im Bürgerausschuss. Zusammen mit seinen Brüdern Lazarus und Jakob hatte Marx die Firma Gebrüder Altstädter gegründet und 1856 ins Handelsregister eintragen lassen. Sie handelte mit Landesprodukten und hatte ihren Sitz an der Heidelberger Straße, der heutigen Bergstraße, im Bereich der Einmündung des Suezkanalwegs. 1890 trennten sich die Brüder und alleiniger Inhaber der Firma wurde Nathan Altstädter, der Sohn von Marx und Fanny Altstädter, geborene Vögele.

Bescheidenes Futtermittelgeschäft

Nathan Altstädter (1868-1933) übersiedelte mit seinem Unternehmen 1891 auf das Gelände der ehemaligen Seitz’schen Sägemühle am Suezkanalweg. Hier richtete er eine Reinigungs- und Sortieranlage für land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse ein, dazu eine Schrot- und Mehlanlage, schließlich eine Trockenanlage. Durch die Veränderung der Marktverhältnisse war damals der Umsatz im Futtermittelgeschäft sehr bescheiden geworden. Im 1. Weltkrieg wurden hauptsächlich Obst und Gemüse getrocknet. Nach Kriegsende nahm Nathan Altstädter die Fabrikation von Zwiebel- und Knoblauchpulver auf. Die Erzeugnisse gingen überwiegend in die USA. Nathan Altstädter starb am 11. Februar 1933, kurz nach der für die Firma Altstädter schicksalhaften Machtübernahme der Nationalsozialisten. Der 65-Jährige wurde auf dem Hemsbacher Verbandsfriedhof beigesetzt. Die Grabsteininschrift weist ihn als „Sohn des Mordechai”, des Marx Altstädter aus.

Nathan und Flora Altstädter, geborene Reilinger – ihre Familie hatte 1809 den Namen ihres Wohnortes Reilingen angenommen – wohnten mit ihren vier Kindern Grethe, Hans, Walter und Paul im Haus Hauptstraße 50, das seit Generationen in Familienbesitz war und 1913 nach den Plänen des Weinheimer Architekten Georg Lippert umgebaut wurde. Hans Altstädter studierte am Konstanzer Technikum Maschinenbau, Walter studierte Jura und wurde Referendar am Weinheimer Amtsgericht, Paul arbeitete als Angestellter in einem Karlsruher Warenhaus. Ihre Schwester Grethe heiratete den Frankfurter Hermann Sondheim. Eine weitere Schwester Johanna (Channa) war 1905 noch vor ihrem 2. Geburtstag gestorben.

Das Jahr 1933 veränderte das Leben der Familie Altstädter völlig. Nach dem Tod des Vaters und der Schließung der Firma Gebrüder Altstädter gab es für Walter Altstädter keine Möglichkeit mehr, seine juristische Ausbildung in Deutschland abzuschließen und auch die Brüder Hans und Paul verloren ihre Arbeitsplätze. 1934 wanderten deshalb alle drei Brüder ins damalige Palästina aus und lebten zunächst in der Nähe von Haifa.

Unterschiedliche Wege

Paul Altstädter wurde Mühlenkonstrukteur und baute eine Schälmühle für Reis und Gerstengraupen auf, der Jurist Walter wurde Landwirt und schuf einen landwirtschaftlichen Betrieb mit über 60 Milchkühen, den er mit seiner Frau allein bewirtschaftete. Hans fand nach vielen Anfangsschwierigkeiten eine Aufgabe als Betriebsingenieur bei Assis, der damals größten Konservenfabrik in Palästina.

Grethe Altstädter zog nach ihrer Heirat nach Frankfurt. 1938 kam ihre Mutter kurz zu ihr und Schwiegersohn Hermann Sondheim, folgte dann aber ihren Söhnen nach Palästina. Die rechtzeitige Auswanderung rettete ihr Leben. Ihrer Tochter Gretheund deren Ehemannn Herman Sondheim Grethe Sondheim wurden verhaftet und deportiert. Fanny Grethe Sondheimund ihr Ehemann Hermann Sondheim wurde in Litzmannstadt/Lodz ermordet.

Blick in die Meldekartei

Hans Altstädter ist im August 1992 in Jerusalem einem Krebsleiden erlegen. Er wurde 90 Jahre alt. Zwölf Jahre pflegte er seine im Rollstuhl sitzende Frau. Walter Altstädter starb an Heiligabend 2000 in Jerusalem. Er wurde 90 Jahre alt. Der jüngste Bruder Paul kehrte 1972 nach Deutschland zurück und lebte in Konstanz bei der Familie seines Sohnes. Im Mai 1992 erlag er 80-jährig einem Herzinfarkt.

In der Rubrik der Meldekartei der Stadt Weinheim, in der nach der Staatsangehörigkeit gefragt wird, steht hinter Nathan Altstädter und seinen Nachkommen: Bürger der Stadt Weinheim, im Bürgerbuch eingetragen.

Verfasser: Heinz Keller,

veröffentlicht in: "Weinheimer Nachrichten" vom 29.12.2006

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