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Als amerikanischer Offizier sah er die Heimat wieder

Captain Ernst Braun war Ostern 1945 der erste jüdische Besatzungssoldat in Weinheim / 1979 organisierte er das Heimattreffen

Am Mittwoch in der Karwoche, am 28. März 1945, besetzten amerikanische Truppen Weinheim, am Gründonnerstag nahm eine Militärregierung im Schloss ihren Dienstsitz. Kurz nach Ostern betrat ein amerikanischer Offizier das Mode- und Sporthaus Delert in der heutigen Fußgängerzone. Als er gefragt wurde, wer er sei, antwortete er: „Hauptmann Braun”. Er hatte den Eindruck, dass man ihn erkannt hatte. „Wortlos schritt er durch den Laden, schaute sich noch schnell die Wohnung an und verschwand”. So hat J. E. Geshwiler am 24.Mai 2002 in „The Atlanta Journal and Constitution” die Szene beschrieben, als Ernst Friedrich Braun 1945 sein Weinheimer Elternhaus wieder sah.

An diesen emotionalen Augenblick im Leben des damals 30-Jährigen erinnerte sich 1991 auch die Weinheimerin Tilly Ziegler. Sie sei im Geschäft Delert gewesen, erzählte sie im Stadtarchiv, als ein amerikanischer Offizier hereingekommen sei und gesagt habe, er sei der Sohn des Vorbesitzers Braun. Darauf hätte im Laden betretenes Schweigen geherrscht.

Die Tageszeitung von Atlanta, der Hauptstadt des US-Staates Georgia und 1996 Olympiastadt, zitierte in ihrem Nachruf auf den am 21.Mai 2002, kurz vor seinem 88. Geburtstag, verstorbenen Mitbürger den Sohn Jeffrey Braun mit den Worten, es sei damals für seinen Vater ausreichend gewesen, dass man in Weinheim wusste, dass der junge Jude, den die Nazis aus der Stadt vertrieben hatten, wieder zurückgekommen war.

Ernst Braun hat seine Empfindungen von diesem Tag noch 1945 niedergeschrieben und seine Erinnerungen später dem Weinheimer Architekten Matthias Kappler überlassen. Karl-Josef Kropp hat daraus das „Porträt einer Rückkehr gemacht” und es der 2. Auflage seines Erinnerungsbuches angefügt, das unter dem Titel „Als der Storch vom Himmel fiel” auch die Tage des Einmarschs der Amerikaner in Weinheim beschreibt.

Ernst Brauns Erinnerungen

Captain Ernst F. Braun fuhr, mit Sergeant Ries am Steuer des Jeep, aus dem stark zerstörten Mannheim über Heddesheim, Großsachsen und Lützelsachsen nach Weinheim und rollte von der Institutstraße aus auf den Hof des ehemaligen Bender’schen Instituts, auf dem amerikanische Militärfahrzeuge standen. Sein Blick fiel auf die Rückseite des einstigen Wohnhauses der Familie Bender, das sein Vater Adolf Braun 1920 von Dr. Dietrich Bender gekauft und 1936, als er sich der wirtschaftlichen Strangulation durch das NS-Regime nicht mehr gewachsen fühlte, an den Kaufmann Fritz Delert verkauft hatte. Auf der Rückseite war der Name Braun durch Delert ersetzt.

Mit Maschinenpistole und Karabiner betraten Braun und Ries von der Hauptstraße aus den Laden. Delerts Frage beantwortete Braun: „Ich bin Captain Braun. Ich muss den Laden und das Haus sehen!”. Ernst Braun sah sein Zimmer wieder, das sich nicht verändert zu haben schien seit dem 16. Mai 1935, als er es verließ und nach Amerika auswanderte.

Es sprach sich damals schnell herum in Weinheim, dass einer der Braun-Buben – man wusste nicht ob Ernst oder Alfred – zurückgekommen war. In der Lindenstraße sammelten sich die Menschen, als der Jeep vor dem Haus von Elsa Sernatinger stand, einer der überlebenden Weinheimer Jüdinnen. Nach dem emotionalen Gespräch mit ihr fuhr Captain Braun durch die Ehretstraße, in der bis zum 10. November 1938 die Synagoge gestanden hatte. „Wut und Zorn stiegen in mir auf!”, schrieb Ernst Braun später nieder.

Vom Studium ausgeschlossen

Ernst Braun, Jahrgang 1914, hatte das Realgymnasium Weinheim besucht und 1933 das Abitur abgelegt. Er wollte Medizin studieren, doch seit dem 25. April 1933 galt das „Gesetz gegen die Überfüllung von deutschen Schulen und Hochschulen”, das Juden vom Studium an deutschen Hochschulen ausschloss. Ernst Braun begann deshalb bei den Lederwerken Hirsch eine kaufmännische Ausbildung. 1935 folgte er seinem bereits 1933 emigrierten älteren Bruder Alfred in die USA. 1937 kamen die Eltern nach und die Familie Braun wohnte zunächst in Pennsylvania bei Verwandten und entschied sich dann für Atlanta als Familienzentrum.

Kriegsdienst für die USA …

„The Atlanta Journal and Constitution” ging vor fünf Jahren in seinem Nachruf ausführlich auf den vierjährigen Kriegsdienst von Ernst Braun ein, der sich noch vor der Bombardierung Pearl Harbors zum Dienst in der amerikanischen Armee gemeldet hatte. Dort habe man, berichtete die Zeitung, seine Zweisprachigkeit erkannt und genutzt. Braun habe für den militärischen Geheimdienst gearbeitet und sei zum Übersetzer ausgebildet worden, um deutsche Kriegsgefangene zu verhören.

… im Herzen aber Weinheimer

Ernst Braun war, wie sein Bruder Alfred, Amerikaner geworden, aber beide waren in ihrem Herzen Weinheimer geblieben. Trotz aller Enttäuschungen wollten sie ihre Heimatstadt Weinheim nicht vergessen. Über ihren Freund Dr. Klaus Huegel, den Sohn des früheren Weinheimer Oberbürgermeisters Josef Huegel, über Daniel Horsch, den Autor des Buchs „Sie waren unsere Bürger”, und über Stadträtin Lilly Pfrang, deren im Zweiten Weltkrieg vermisster Mann Ernst Brauns Klassenkamerad in der Weinheimer Oberprima war, suchten die Brüder Braun Kontakt zur Stadtverwaltung und bereiteten mit ihrer Unterstützung ein Heimattreffen ehemaliger jüdischer Bürger Weinheims vor. Es fand vom 28. Mai bis 6. Juni 1979 statt und löste in Weinheim ein starkes Echo aus, zumal es erstmals die Möglichkeit bot, das Geschehen im sogenannten „Dritten Reich” aus anderer Sicht kennen zu lernen.

Verfasser: Heinz Keller,

veröffentlicht in: "Weinheimer Nachrichten" vom 07.04.2007

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